Grundlagen
Die Verpflichtung zur Aufnahme seines Vermögens und seiner Schulden trifft den Kaufmann zum Ende eines Geschäftsjahres. Ausnahmen gibt es nur für kleine Kaufleute, deren Umsatz und Jahresüberschuss unter den Schwellenwerte des § 241a HGB liegen.
Führt der Kaufmann seine Bestände selbst, ist die klassische Stichtagsinventur die verbreitete Inventurmethode. Bei dieser muss der Kaufmann die Inventurgrundsätze beachten und für eine ordnungsgemäße Organisation und Dokumentation der Inventur sorgen.
Neben der Stichtagsinventur eröffnet das Handelsgesetzbuch die Möglichkeit der vor- und nachverlagerten Inventur sowie der permanenten unterjährigen Aufnahme (permanente Inventur). Diese Verfahren können zur zeitlichen Verlagerung der Inventurhandlungen am Jahresende genutzt werden.
Zunehmend wird die Inventur durch Hilfsmittel wie Apps vereinfacht; hierbei ist besonders auf die Einhaltung der Inventurgrundsätze zu achten.
Besonderheiten treten auf, wenn der Kaufmann die Warenhaltung und den Warenversand über einen Fulfillment-Anbieter organisiert. Hier muss der Kaufmann Maßnahmen ergreifen, um die Einhaltung der Inventurgrundsätze auch bei dem Dritten zu gewährleisten. Zertifizierung des Dritten sind hier ein wesentlicher Bestandteil.
Inventurgrundsätze
Die Inventurgrundsätze bilden die Grundlage für die Organisation und Durchführung der Inventur:
Vollständigkeit
sämtliche Vermögensgegenstände sind aufzunehmen, Doppelerfassungen sind zu vermeiden.
Richtigkeit
Die Vermögensgegenstände sind nach Art und Menge (durch Zählung) zu identifizieren. Beschädigungen, Mängel und andere bewertungserhebliche Eigenschaften sind zu erfassen.
Einzelerfassung
Bestände sind grundsätzlich einzeln zu Erfassen. Unter Beachtung des Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit können Bestände gegebenenfalls durch Wiegen oder Schätzen ermittelt werden.
Nachprüfbarkeit
Die Vorgehensweise und die Ergebnisse der Inventur müssen aufbewahrt werden.
Wirtschaftlichkeit
Im begründeten Ausnahmefällen kann insbesondere vom Grundsatz der Einzelerfassung abgesehen werden.
Inventurverfahren
Inventur am 31.12. eines Geschäftsjahres – die Stichtagsinventur
Die Stichtagsinventur bezeichnet die Aufnahme der Vermögensgegenstände um den Abschlussstichtag. Außer bei abweichenden Geschäftsjahren dürfte dies das Ende des Kalenderjahres zum 31. Dezember sein.
Die Bestandsaufnahme muss dabei nicht taggenau auf den Abschlussstichtag erfolgen. Meist erfordern die organisatorische Abwicklung, dass sich die Inventur über mehrere Tage erstreckt.
Eine zeitlich ausgeweitete Inventur auf einen Zeitraum von zehn Tagen vor dem Abschlussstichtag ist daher nicht zu beanstanden. Während der Inventur sollte das Lager jedoch ruhen. Vor Beginn der Inventur sollten daher eingegangen Bestellungen vollständig abgearbeitet werden. Diesbezüglich ausgehende Ware sollte in einem abgetrennten Bereich umgelagert werden.
Die Anforderungen an die Organisation und Durchführung der Inventur werden im nächsten Anschnitt besprochen.
Inventur zwischen dem 01.Oktober und dem 28.Februar – die Vor-/ Nachverlagerte Inventur
Die Durchführung der Inventur ist gemäß § 241 Abs. auch zu einem Zeitpunkt drei Monate vor und zwei Monate nach dem Inventurstichtag möglich.
In dem vor-/nachverlagerten Inventurstichtag wird dabei ein gesondertes Inventar aufgenommen.
Das aufgenommene Inventar muss zum Bilanzstichtag vor- bzw. rückgerechnet werden können. Hierzu müssen ab dem vor-/ nachverlagerten Inventurstichtag erfolgte Zu- und Abgänge der Vermögensgegenstände je Artikel gesondert abrufbar sein. Entsprechende Eingangsrechnungen sind gesondert zu erfassen, um die Wertfort- / -rückschreibung zu ermöglichen.
Vor Durchführung des vor-/ nachverlagerten Inventurstichtag ist daher zu prüfen, ob die Warenwirtschaft bzw. das Shopsystem eine Fortschreibung der Bestände nach Art und Menge ermöglicht.
Inventur über das ganze Jahr – die permanente Inventur
Die permanente Inventur ist ein Verfahren zur Aufnahme der Bestände über das gesamte Geschäftsjahr. Die Vermögensgegenstände werden bei diesem Inventurverfahren nicht an einem Tag, sondern in einzelnen Abschnitten „permanent“ über das Geschäftsjahr gezählt.
Zur Durchführung der permanenten Inventur gibt es folgende Voraussetzungen:
- in der Warenwirtschaft müssen alle Bestände, Zugänge und Abgänge einzeln nach Tag, Art und Menge abrufbar sein
- in jedem Geschäftsjahr muss ein Artikel mindestens einmal gezählt worden sein
- die Ergebnisse der Zählungen sind zu protokollieren müssen in der Warenwirtschaft festgehalten werden.
Inventur in eigenem Lager
Inventurorganisation
Die Durchführung der Inventur bedarf einer sorgfältigen Vorbereitung und Planung. Die Planung umfasst dabei die personelle Planung und die Planung der Ablauforganisation.
Grundlage für die Inventur ist die Inventurrichtlinie (hier zum Download Inventuranweisung e-Commerce). Diese regelt Vorgehensweise und Verantwortlichkeiten. Als Bestandteil der Inventurdokumentation ist die Inventurrichtlinie in einem ausreichenden Zeitraum vor der Inventur schriftlich festzuhalten.
Personelle Organisation
Im Rahmen der personellen Planung sollte der für die Inventur verantwortliche Inventurleiter festgelegt werden.
Der Inventurleiter übernimmt die Einweisung der Zählteams und überwacht die Durchführung der Zählungen durch die Zählteams. Er kontrolliert den Eingang der aufgenommen Daten und nimmt – bei wesentlichen Abweichungen zwischen gezählten Bestanden und verbuchten Beständen – Kontrollzählungen vor.
Die Zählteams sollten mindestens aus einem Ansager und einem Aufschreiber bestehen. Beide Personen sollten nicht für die zu zählenden Vermögensgegenstände unterjährig verantwortlich sein.
Als Anlage zur Inventuranweisung ist eine Aufstellung der Zählteams unter namentlicher Nennung der Mitglieder des Zählteams und Bezeichnung der zu zählenden Läger aufzustellen.
Ablauforganisation
Vor Beginn der Inventur sind die Lagerräume vorzubereiten, aufzuräumen und zu säubern. Sofern Vorräte nicht leicht zugänglich sind, sind diese vor Beginn der Inventur umzulagern. Offensichtlich unverkäufliche Ware ist vor der Inventur zu entsorgen. Die Inventur ist im Warenwirtschaftssystem zu eröffnen.
Der Inventurleiter sollte die Zählteams zu Beginn der Inventur über die Inventurrichtlinie mündlich unterrichten und dabei wesentliche Ordnungsanforderungen der Inventur herausheben. Im Anschluss sollten die Zählzettel an die Zählteams ausgegeben werden.
Die Aufnahme der Bestände nach Menge und Art sollte über Zählzettel erfolgen. Je Lagerort sollte ein Zählzettel erstellt werden. Die Zählzettel sind durchlaufend zu nummerieren. Der Zählzettel hat dabei Freifelder für die gezählte Menge und Unterschriftfelder für den Ansager und Aufschreiber sowie für Anmerkungen zur Qualität und Beschädigung enthalten. Die in der Warenwirtschaft geführten Mengen sollten nicht auf den Zählzettel aufgenommen werden. Für die Aufzeichnung sind unveränderliche Stifte zu verwenden (keine Bleistifte).
Zur Kennzeichnung gezählter und beschädigter Ware sollten farbige Aufkleber an die Zählteams vergeben werden.
Die Zählungen sind entsprechend der räumlichen Reihenfolge vorzunehmen. Die Menge der Vorräte ist durch Zählen zu ermitteln. Verschlossene Kartons sind stichprobenweise zu öffnen und auf den vollständigen und richtigen Inhalt hin zu überprüfen. Zähler und Aufnehmer zählen unabhängig den jeweiligen Artikel. Kommen Aufnehmer und Zähler zum gleichen Ergebnis, wird dieses auf den Zählschein aufgenommen. Das Ausfüllen der Zählblätter erfolgt an Ort und Stelle unmittelbar im Anschluss an das Zählen.
Die ausgeteilten Zählblätter sind an den Inventurleiter vollständig zurückzugeben. Dies schließt auch nicht genutzte Aufnahmeblätter mit ein.
Nach Rücklauf der Zählblätter werden die Ergebnisse in die Warenwirtschaft eingegeben. Kommt es zu wesentlichen Abweichungen zwischen gezählten und in der Warenwirtschaft geführten Beständen, sind die Bestände durch den Inventurleiter nachzuzählen. Soweit die Neuaufnahme zu einer Änderung des Ergebnisses führt, sind die geänderten Ergebnisse in die Warenwirtschaft einzugeben.
Nach Abschluss der Zählungen und Kontrollzählungen sind die Differenzen durch die Warenwirtschaft zu ermitteln (Inventurdifferenzenliste).
Hinweise auf Beschädigungen und Qualitätsmängel sind für die Bestandsbewertung gesondert zu vermerken und durch die Vornahmen von Abschreibungen in der Buchführung besonders zu berücksichtigen.
Einsatz von Apps
Zur Aufnahme der Bestände werden regelmäßig Apps eingesetzt. Apps zeigen zumeist in der Grundeinstellung den einen aktuellen Lagerort, Artikel und in der Warenwirtschaft geführten Bestand an.
Grundsätzlich ist der Einsatz von Apps im Rahmen der Inventur nicht zu beanstanden. Es sollten jedoch Einstellungen vorgenommen werden, dass der in der Warenwirtschaft vorhandenen Bestand dem Zählteams nicht ersichtlich ist. Die gezählten Bestände sollten trotz Einsatz der App mit einem Aufkleber gekennzeichnet werden.
Dokumentation
Das Vorgehen und das Ergebnis der Inventur müssen derart dokumentiert werden, dass sich ein sachverständiger Dritter innerhalb angemessener Zeit einen Überblick über Art, Menge und Wert der Bestände verschaffen kann.
Die Erfassungsbelege, Inventurdifferenzenliste und Inventarliste sind daher zu archivieren und für einen Zeitraum von 10 Jahren aufzubewahren.
Warenbestand bei Dritten Fulfillment-Anbieter
Auch bei Auslagerung der Warenhaltung und den Warenversand durch ein Unternehmen auf einen Dritten (Fulfillment-Anbieter) bleibt die Verantwortung für die ordnungsgemäße Durchführung der Inventur beim Kaufmann.
Der Kaufmann hat bei ausgelagerter Warenhaltung sicherzustellen, dass die Inventurgrundsätze eingehalten, die Inventur ordnungsgemäß geplant und durchgeführt wird.
Hierzu sollten im Rahmen der Beauftragung des Fulfillment-Anbieters Informations- und Kontrollrechte vereinbart werden.
Zur Sicherstellung der Inventur sind sowohl auf Seiten des Kaufmann, wie auch auf Seiten des Fulfillment-Anbieter Kontrollen einzurichten.
Kontrollen auf Seiten des Kaufmanns umfassen Kontrollen, um die Ordnungsmäßigkeit des an den Dritten übergebenen Informationen und die vom Dritten erhaltenen Informationen zu gewährleisten.
Hierzu zählt der systematische Vergleich von Beständen auf den Eingangsrechnungen mit den durch den Fulfillment-Anbieter unterjährig gemeldeten Zugängen sowie die kritische Durchsicht der durch den Fulfillment-Anbieter ermitteln Inventarliste.
Auf Seiten des Fulfillemt-Anbieters sind Kontrollen einzurichten, um die Einhaltung der Inventurgrundsätze, die Ordnungsmäßigkeit der Inventurplanung und der Inventurdurchführung sicherzustellen.
Seitens des Fullfillment-Anbieters sollte daher zum Jahresende bestätigt werden, dass die Inventur ordnungsgemäß geplant wurde, insbesondere, dass
- eine Inventuranweisung erstellt wurde und
die Inventur ordnungsgemäß durchgeführt wurde, insbesondere dass
- fachkundiges Personal eingesetzt wurde,
- das Personal über die Inventuranweisung unterrichtet wurde,
- das Personal unterjährig nicht für die Bestände verantwortlich war,
- die Zählteams aus mindestens zwei Personen bestanden haben,
- die Bestände einzeln erfasst wurden,
- die Bestände Vollständig erfasst wurden,
- Probezählungen bei wesentlichen Abweichungen vorgenommen wurden,
- beschädigte Ware gesondert erfasst und mitgeteilt wurde und
- Differenzen ordnungsgemäß erfasst wurden.
Eine derartige Bestätigung kann auch über ein Testat eines Wirtschaftsprüfers erfolgen. Gängig sind hier Bescheinigungen nach IDW PS 951, ISAE 3402 oder SSAE 16. Die Bescheinigungen sollten dabei die Ausgestaltung und Wirksamkeit (sog. Typ 2) beinhalten. Auch müssen die Testate den zugrundeliegenden Zeitraum und die einbezogenen Lager vollständig abdecken.
Neben der Bestätigung durch den Fulfillment-Anbieter bzw. dem Wirtschaftsprüfer sollte der Kaufmann auch die Inventuranweisung, die Differenzenliste sowie die finale Inventarliste zu seinen Unterlagen nehmen und über die gesetzlichen Fristen von 10 Jahren aufbewahren.
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